Zehn Jahre nach ihrer Gründung zieht die Charta der Vielfalt nicht nur eine positive Bilanz ihrer Außenwirkung. Ihre Konferenz-Reihe gemeinsam mit dem Tagesspiegel feiert ein kleines Jubiläum und zeigt mit neuen Impulsen, dass die Reise gerade erst begonnen hat.
Diversity am Tag nach der Wahl Donald Trumps
Die diesjährige Konferenz von Tagesspiegel und Charta der Vielfalt fand unter dem Eindruck der US-Präsidentenwahl statt. Entsprechend mahnte Arno Makowsky, stv. Chefredakteur, Der Tagesspiegel, bei seiner Eröffnung, die TeilnehmerInnen sollten ein Zeichen setzen, „dass die Welt nicht in Hass verfällt“. Werte seien keine Selbstläufer, sondern müssten erkämpft werden. Auch die Vorstandsvorsitzende des Trägervereins der Charta wies darauf hin, dass Stereotype für viele eine Antwort auf Komplexität als Folge von Globalisierung darstellten. Die Aktualität der Konferenz betonte auch Gräfin von Hardenberg, Geschäftsführerin der Charta. Diversity sei noch höher auf der Agenda von Wirtschaft, Politik und Gesellschaft gerückt. Die fünfte Konferenz nach nunmehr zehn Jahren Charta der Vielfalt stellte auch eine Art Klassentreffen dar. Entsprechend stand neben den inhaltlichen Beiträgen der Austausch hoch auf der Prioritätenliste der TeilnehmerInnen. Moderatorin Dr. Dorothee Nolte teste auch die Regelmäßigkeit der Teilnahme und immerhin ein gutes Dutzend gab an, die Konferenz bereits mehr als zweimal besucht zu haben. Einen inhaltlichen Rahmen setzte die erste Key-Note von Ana-Cristina Grohnert, die einige der Ergebnisse der aktuellen Studie zu Diversity Management in Deutschland vorstellte. Einen Überblick finden Sie hier.
Positive Informationen und Emotionen zum Thema Behinderung
Inspiration aus dem Blickwinkel „Behinderung“ bot Armin von Buttlar, Vorstand von Aktion Mensch e. V. Vorab präsentierte er Ergebnisse aus dem Inklusionsbaromter 2016, der neben Kennzahlen ein Klimabarometer enthält, das aus einer Befragung in Unternehmen entsteht. Diese berichten von hoher Leistungsbereitschaft bei Beschäftigten mit einer Behinderung und weisen darauf hin, dass Förderangebote nicht bekannt genug seien. Auch von Buttlar weist auf Diskrepanzen hin: Während 98% der Befragten angeben, Inklusion sei wichtig oder sehr wichtig, beobachten viele ExpertInnen und PraktikerInnen weiterhin emotionale Barrieren. Dass diese leicht überwunden werden können, wenn man dem Thema und den Menschen unvoreingenommen begegnet, macht der mehrfach preisgekrönte Film „Die neue Nähe“ deutlich. Er zeigt Reaktionen von Kindern auf Behinderungen und Unterstützungstechnik. Von Buttlar erlaubte sich zudem eine kritische Anmerkung – wie sie sonst auf derart Veranstaltungen selten sind: Der Kündigungsschutz sei als Instrument fraglich. Ein wertvoller Merker dazu, dass gesetzliche Vorgaben durchaus unerwünschte Nebenwirkungen haben können.
Flüchtlinge: Kreative Wege zur Nutzung von Kompetenzen
Mit derartigen Aspekten musste sich auch der Berliner Handwerkskammerpräsident Stephan Schwarz beschäftigen. Er stellte erfolgreiche Maßnahmen vor, wie seine Mitgliedsunternehmen Flüchtlinge in Arbeit und Beschäftigung bringen und dabei an unerwartete Vorschriften stoßen können. So gäbe es in der Berufsschule die gleichen Maßstäbe für MuttersprachlerInnen wie auch für jene, die gerade anfingen, Deutsch zu lernen. Dass Wörterbücher in der Gesellenprüfung zugelassen oder Bearbeitungszeiten für Tests verlängert werden sollten – um Chancengleichheit zu schaffen – gehörte zu den Erkenntnissen des Vortrages. Das Berliner Handwerk widmete sich in unterschiedlichen Projekten der Integration von Geflüchteten und stellte dabei fest, wie vielfältig die Gruppe ist. Die Fluchterfahrung sei ihnen gemeinsam und damit verbunden mögliche Kompetenzen wie Eigeninitiative, Eigenverantwortung und Mobilität – laut Schwarz „fast unternehmerisches Denken“. Für die Verständigung im Betrieb empfiehlt Schwarz zum Beispiel Patenschaften, die einen beidseitigen privaten Austausch beinhalten. Bewährte Maßnahmen entwickelte die Handwerkskammer Berlin gemeinsam mit weiteren Partnern bereits seit 2014 im Rahmen des Projektes ARIVO – zum Beispiel die Kampagne „Flüchtling ist kein Beruf“. Mit Übungswerkstätten, Ausbildung im Gastgewerbe und Ringpraktika wurden die ARIVO Projektpartner bedarfsgerecht aktiv und bundesweit zu einem Vorbild.
Vier Workshop-Themen decken Bandbreite ab
Vier Workshops, von denen die TeilnehmerInnen je drei besuchen konnten, deckten sehr unterschiedliche Themen ab. Ein inhaltlicher Schwerpunkt fand sich bei der Aktion Mensch, die neue Impulse zu Barrierefreiheit vermittelte (Kurzbericht). Ein englischsprachiger Workshop stellte eine neue Methodensammlung vor, die bei der Adressierung von Unconscious Biases hilft (Kurzbericht). Der Workshop über unvoreingenommene Kommunikation versuchte sprachliche Tipps zu geben, löste aber eine Reihe von Protestreaktionen bei den Teilnehmenden aus. Die Zeitreise im Themenfeld Diversity erfreute viele TeilnehmerInnen, die dort ihre Erfahrungen beitragen konnten. Insgesamt wurden immer wieder Wünsche nach konkreten Gestaltungs- und Umsetzungsfragen, mehr Tiefgang oder Anregungen für die Zukunft laut. Einhellig fielen indes die Kommentare zum außerordentlichen Mehrwert der Veranstaltung aus: „Networking pur“.
Die Renner: Debattierclub und Visions für Diversity als neue Formate
Die fünfte Auflage der Diversity-Konferenz stellte gleich zwei neue Formate vor, die hohen Anklang fanden. Am Ende des ersten Tages lieferten sich Mitglieder der Berlin Debating Union ein inhaltliches Gefecht zu einem Thema, über das zuvor die TeilnehmerInnen abgestimmt hatten: „Sollen Unternehmen vorrangig in die Weiterbildung der älteren Beschäftigten investieren“? Die Besonderheiten: Die Positionen (pro und contra) wurden ausgelost und die DiskutantInnen hatten 15 Minuten Vorbereitungszeit sowie abwechselnd 7 Minuten pro Person, um ihre Argumente vorzubringen und auf die jeweils andere Seite zu reagieren. Das Publikum war begeistert von der Hingabe, mit der die Akteure sich für Ansichten einsetzten, die möglicherweise nicht ihre eigenen waren und in einem Feld, das ihnen thematisch eventuell fernlag. Bei diesem Format kam es in der Tat nicht in erster Linie auf das Thema an, sondern auf die erfrischende Dynamik.
Das zweite Novum bildete die Runde „Visions of Diversity“, in der VertreterInnen überwiegend von Hochschulen, Kernfragen für die weitere Bearbeitung des Themas D&I vorstellten. Die unterschiedlichen vertretenen Forschungsdisziplinen zeigten unerwartete Aspekte und die mitunter wenig bekannte Weite des Feldes auf (Beitrag).
Familienministerin Schwesig – kritisch & regulativ statt motivierend & fördernd
Einen Dämpfer erhielten die TeilnehmerInnen durch die abschließende Key-Note von Bundesfamilienministerin Schwesig. Vor zwei Jahren hatte sie an dieser Stelle die Frauenquote angekündigt und auch dieses Jahr klangen viele Botschaften kritisch. So bezeichnete Ministerin Schwesig eine Zielquote von null Prozent als „nicht akzeptabel“. Diese setzen sich Unternehmen, wenn sie absehbar keine Veränderung im Vorstand herbeiführen können (weil z. B. keine Neubesetzung ansteht). Ihre Sichtweise ist wohl als eine Fortsetzung der harten, normativen Machthaltung ihrer Vorgängerin zu sehen, die bereits post-faktisch den Fortschritt der Wirtschaft als „unterirdisch“ bezeichnet hatte, während die obersten Bundesbehörden im gleichen Zeitraum – trotz Bundesgleichstellungsgesetz – weniger Fortschritt reportieren konnten. An dieser Stelle gab sich Schwesig moderat selbstkritisch und sprach auch in den Bundesbehörden von einem Nachholbedarf – allerdings bezogen auf MigrantInnenquoten. Dass womöglich Handlungsbedarf im Thema Rassismus oder bei der Zugkraft des AGG besteht räumte sie ein. Deutlicher war indes, dass sie zuerst mehr im Thema Gender/Gleichstellung erreichen möchte. Hier wies die Ministerin darauf hin, dass Work/Life-Balance Lösungen für alle Beschäftigten, also auch für Männer, sinnvoll sind. Die Arbeitskultur des 20. Jahrhundert sei nicht effektiv für die Wirtschaft und für Belegschaften des 21. Jahrhunderts. So viel Zustimmung diese Analyse gefunden haben dürfte, so groß war womöglich der Schreck darüber, dass Schwesig mit einem weiteren Gesetz der D&I Entwicklung einen Bärendienst erweisen möchte: Ein Rückkehrrecht von Teilzeit in Vollzeit. Auch wenn sie hinzufügte, es sei zudem ein Bewusstseinswandel nötig – scheint sie nicht stark genug einzuschätzen, dass jede neue Regelung den Handlungsspielraum – und die Bereitschaft zu pro-aktiven Maßnahmen – reduziert.
Die Wirtschaft gestaltet den digitalen Wandel pro-aktiv
Dass die Wirtschaft keine Nachhilfe von der Politik benötigt, wenn es um die zukunftsfähige Gestaltung von Arbeitswelten geht, hatte bereits Christina Schulte-Kutsch, Vice President Leadership Development & Culture, Deutsche Telekom AG, am Vortag eindrucksvoll dargestellt. Mit einer Kombination aus digitalem Lernen, Reverse Mentoring, Future Work(space) und einer weiter entwickelten Führungskultur zeigt das Unternehmen, wie innovative Bausteine zu einem tragfähigen Konzept verbunden werden können. Dabei bildet Diversity ein verbindendes Element, zum Beispiel die unterschiedlichen Generationen im Reverse Mentoring oder die unterschiedlichen Stärken von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, die der Konzern „im Ökosystem Digitalisierung“ als Chance sieht. Denn, so Schulte-Kutsch „Keiner kann alles wissen“. Großen Anklang fanden auch ihre Erläuterungen zur Transformation der Arbeitswelten mit Desk Sharing, virtuellen Teams und Home Office und wie hierbei die Führungskräfte mit neuen Schwerpunkten – weniger Fachinhalte, mehr Rahmenbedingungen – unterstützen. Mit der Telekom zeigt ein weiterer Konzern, dass D&I den Wandel vom operativen Policy-Programm zum Kernbaustein für Führungsqualität und Unternehmenskultur fortsetzt.
Das Forum für Diversity in Deutschland
Mit der mittlerweile etablierten Konferenz bieten Tagesspiegel und Charta der Vielfalt ein unvergleichliches Forum für Diversity-PraktikerInnen und Interessierte. Der lebendige Austausch unterscheidet die Veranstaltung von den sonst üblichen Fachkonferenzen. Mit einem kreativen Methodenmix gelingt es, eine Bandbreite von Themen abzudecken und gleichzeitig Raum für Netzwerkkontakte zu bieten. Die positiven Reaktionen der TeilnehmerInnen zeigen, dass damit ein wichtiger Bedarf auf eine überaus geglückte Art und Weise gedeckt wird.