ARAG Imagefilm: Viel Diversity, wenig Aufmerksamkeit

Stell Dir vor, zwei Männer küssen sich auf der Leinwand und keiner regt sich darüber auf. Und kaum jemand lobt den ‚mutigen Schritt‘ des Produzenten. So geschehen beim neuen Image-Spot der ARAG, der bereits seit April läuft.

Seit viele Produkte mehr und mehr austauschbar geworden sind, erlangen die jeweiligen Marken eine immer größere Bedeutung. Entsprechend boomt die Imagewerbung, deren Hauptaufgabe (meist) ist, eine emotionale Verbindung von Zielgruppe zu Marken herzustellen. Es überrascht daher kaum, dass sich die Mechanismen der Markenspots ähneln: Authentische Aspekte des Lebens so darzustellen, dass den BetrachterInnen das Herz aufgeht. Dabei besteht die Herausforderung vor allem darin, Produkte oder Dienstleistungen, die häufig sehr viel sachlicher – oder mitunter langweilig – sind, glaubhaft mit dieser Welt zu verbinden.

Das echte Leben statt Hochglanzoptik

Aus Sicht von Diversity ist der aktuelle Marken- / Imagespot der ARAG bemerkenswert. Die verantwortliche Agentur, BBDO Düsseldorf, beschreibt den Ansatz so: „Durch kurze, intensive Momentaufnahmen taucht der Betrachter ins Leben ein. Und versteht so die Rolle und Relevanz der Marke“, sagt Creative Director Michael Plückhahn. Zu den kurzen Momenten gehört unter anderem eine Frau, die einen Abfluss repariert, die Benutzung eines Laptops auf der Toilette, ein Kind, das eine gefrorene Stange anleckt und zwei Männer, die sich küssen. Diese kleinen Grenzübertretungen – zumindest aus Mainstream-Sicht – nennen sich Musterbruch und dienen sowohl der Erlangung von Aufmerksamkeit als auch der Vermittlung von Werten. Um beides geht es der ARAG und ihrer Agentur BBDO.

Schwule im Mittelpunkt oder als Teil der Vielfalt

Während ein schwules Paar in einem Fußball-Werbespot der Deutschen Bahn breite Aufmerksamkeit erhielt, fiel die Themenplatzierung bei der ARAG weit weniger auf – zumindest öffentlich. Der augenscheinlichste Unterschied besteht in der Platzierung: Bei der Bahn als zentrales Thema, bei ARAG als eine Facette, oder besser als eine Lebens- und Liebensart. Während der Bahnspot aufgrund der Kombination Fußball-Homosexualität ein starkes Statement darstellt und als solches anerkannt wird scheint die ARAG-Botschaft unterbewertet zu werden. Immerhin handelt es sich um ein Großunternehmen in Familienbesitz, das wie viele vergleichbare Firmen als konservativ galt. Zudem ist die Versicherungsbranche ein ethisch gesehen schwieriges Umfeld, das sich mit verschiedenen Diversity-Themen ausgesprochen schwertut. In beider Hinsicht ist die Werbebotschaft bemerkenswert.

Verwechslungsgefahr: Schwule als Zielgruppe oder als Protagonisten

Ein weitere Aspekt verdient Erwähnung: Der integrative Charakter, mit dem der LGBT Inhalt in einem größeren Kontext transportiert wird. Dieser Ansatz stellt keineswegs eine Bewerbung der schwulesbischen Zielgruppe dar, wie dies fälschlich von Zielgruppenmedien dargestellt wurde. Vielmehr geht es um die Sichtbarmachung von Vielfalt und insbesondere darum, dass Homosexuelle Teil dieser Vielfalt sind. Mit der breiten, öffentlichen Anerkennung dieser Realität sagt die ARAG mehr als sie mit einer zielgruppenspezifischen Kampagne oder einer vordergründigen Themennutzung nach dem Muster Iglo-vier-Sterne-Holger-und-Max sagen würde. Der Zielgruppeneffekt stellt sich zudem ohnehin ein. Denn Marktforschung von Ungleich Besser Diversity Consulting zeigt, dass schwulebsische Zielgruppen nicht in erster Linie spezifische Produkte oder Werbung von Unternehmen erwarten, sondern sich vor allem eine – möglichst öffentliche – Akzeptanz als Teil der Normalität wünschen.

Und dennoch wenig Anerkennung …

Weshalb der ARAG Spot bislang vergleichsweise wenig Aufmerksamkeit auf sich zog, ist nicht unbedingt erklärbar. Bezogen auf den Männerkuss war der nahezu zeitgleiche Bahn-Spot freilich sensationsträchtiger. In der Markenkampagne bildet der Spot ‚nur‘ die zweite Kampagnenstufe. Nach dem Start im Jahre 2014 ist es wohl schwierig, bei den schnelllebigen Marketing-Medien hierfür Gehört zu finden. Vielleicht liegt es aber auch daran, dass der Film für ARAG schlicht und einfach gut gemachte Kommunikation darstellt, während die bewusste Verbindung zu Diversity Management nicht erkannt oder nicht genutzt wird. Ein Blick auf die Firmenwebsite scheint das zu bestätigen: Diversity als Nachhaltigkeitsthema (sic) mit einer Mischung aus Demographie, Familienbewusstsein, Globalisierung und Gender („weitaus mehr als Frauenförderung“ – nur was?). Hier ziert man sich zum Thema LGBT und spricht von „privaten Lebensumständen“. An anderer Stelle dagegen gibt die ARAG Tipps für Schwule und Lesben, zur Lebenspartnerschaft oder zu aktueller Rechtsprechung („Vermieter muss schwulem Paar Schadensersatz zahlen“).

Den ARAG Imagespot können Sie hier sehen.