Die Inklusion am Arbeitsmarkt schreitet nur langsam voran. Das ist eine Kernaussage des „Inklusionsbarometer Arbeit“ der Aktion Mensch und des Handelsblatt Research Institutes (HRI). Der Bericht gibt detaillierte Einblicke in die aktuelle Situation behinderter Menschen am Arbeitsmarkt. Innovative Initiativen wie InkluJobs unterstützen derweil Unternehmen pragmatisch.
Das „Inklusionsbarometer Arbeit“ zeigt, dass die Zahl der Arbeitslosen mit einer Behinderung zwar auf rund 178.800 (Vorjahr: 181.100) gesunken ist – ihre Arbeitslosenquote ist mit 13,4 (Vorjahr 13,9) Prozent aber weiterhin fast doppelt so hoch wie bei Menschen ohne Behinderung. „Die positiven Veränderungen am allgemeinen Arbeitsmarkt wirken sich nicht automatisch auch für Menschen mit Behinderung positiv aus”, sagt Professor Bert Rürup, Präsident des Handelsblatt Research Instituts.
Technische und mentale Barrieren
Bürokratische Hürden bilden weiterhin eine spürbare Barriere für die Beschäftigung von Menschen mit einer Behinderung. Beispielsweise wissen nur 62 Prozent der Chefs kleinerer Unternehmen, dass sie staatliche Förderung bekommen können. Wiederum nur die Hälfte der informierten Betriebe nutzt dann diese Förderung: „Kleine Unternehmen haben nicht die Zeit, sich auf kompliziertem Weg und über verschiedene Antragstellen eine Finanzspritze zu holen”, glaubt Aktion Mensch-Vorstand Armin von Buttlar. Er schlägt vor, dass die Förderung aus einer Hand kommen und den Firmen schneller zufließen solle. Das Inklusionsbarometer nennt Vorbehalte auf Seiten der Unternehmen sowie Unsicherheiten auf Seiten der Bewerber mit Behinderung als weitere Gründe für die geringe Inklusion.
Pragmatische Hilfe
Das Pilotprojekt „InkluJobs“ setzt genau an diesen Stellen an. Es will Unternehmen unterstützen, die planen Menschen mit einer Behinderung einzustellen. Zu den Angeboten gehören Workshops, in denen durch Begegnung und Interaktion Vorbehalte überwunden werden. Außerdem bietet das Projekt einen „Quick-Check“ an, der Aufgaben ausfindig macht, die leicht von Menschen mit Behinderung übernommen werden können. Darüber hinaus begleitet InkluJobs Arbeitgeber bei der Koordination von Terminen mit BewerberInnen sowie bei notwendigen Antragsstellungen für Förderleistungen. InkluJobs ist eine Kooperation von Good Growth und dem Netzwerk Inklusion Deutschland und wird vom Land Hessen finanziell gefördert.
Die Situation in Deutschland in Zahlen
Das Land Hessen rangiert im Inklusionsbarometer im regionalen Vergleich in der Spitzengruppe. Das bevölkerungsreichste Bundesland Nordrhein-Westfalen rutscht im Vergleich der Regionen vom dritten auf den vierten Platz ab und verschlechtert sich damit zum dritten Mal in Folge. Ausschlaggebend dafür ist vor allem die schlechte Bewertung von ArbeitnehmerInnen mit Behinderung. In NRW wurde zudem die Schere zwischen der Arbeitslosigkeit von Menschen mit und ohne Behinderung größer. Hier ist mehr als die Hälfte ein Jahr langzeitarbeitslos, in Bayern sind es dagegen nur 38 Prozent. Spitzenreiter ist die Mitte Deutschlands (Hessen, Rheinland-Pfalz und Saarland), Schlusslichter sind die ostdeutschen Bundesländer.
Wer arbeitslos ist, braucht vor allem eines: Geduld. Arbeitslose Schwerbehinderte suchen 101 Tage länger als ihre KollegInnen ohne Behinderung nach einer neuen Beschäftigung, im Vorjahr war das Delta „nur“ 96 Tage. Sie benötigen nun im Durchschnitt ein gutes Jahr (367 Tage), um eine neue Stelle zu finden.
Immerhin: Die Zahl der Unternehmen mit mehr als 20 MitarbeiterInnen, die damit unter die Beschäftigungspflicht fallen, legte um 2.500 auf mehr als 152.000 Betriebe zu. Damit einher geht die Rekordzahl von 1,043 Millionen besetzter Pflichtarbeitsplätze. Dies bedeutet auch, dass die Beschäftigungsquote auf 4,69 (Vorjahr: 4,67) zulegt und näher an die gesetzliche Vorgabe von fünf Prozent heranrückt. Weitere 138.000 Menschen mit einer Behinderung sind in Betrieben mit weniger als 20 MitarbeiterInnen beschäftigt. Durch diese positiven Zahlen rückt das Inklusionsbarometer mit einem Wert von 106,7 (101,2) etwas deutlicher ins Positive.
Positive Aussichten 4.0
Vor allem die Digitalisierung am Arbeitsmarkt sehen Arbeitnehmer und -geber als Chance. „Mit Hilfe von Assistenzsystemen und durch Automatisierung können Menschen mit Behinderung stärker vom Aufschwung am Arbeitsmarkt profitieren“, sagt Armin von Buttlar weiter. 68 Prozent der Arbeitnehmer sehen die Übernahme körperlich anstrengender Arbeiten durch Maschinen und die Entstehung neuer Berufsfelder als Gewinn. Vor allem die Angestellten in der Industriebranche erkennen Vorteile. Insgesamt sehen mit 70 Prozent die zumeist gut ausgebildeten Menschen mit Behinderung die Veränderung zum „Arbeitsplatz 4.0″ positiv. Denn mit 457.000 Beschäftigten arbeiten 46 Prozent in Branchen wie dem Lehr- und Gesundheitssektor, deren Aufgaben nur wenig Austauschpotenzial zulassen. Doch nicht alle profitieren von der Digitalisierung: Für Menschen mit einer Lernbehinderung fehlt es an Schulungen, um sie in die digitale Zukunft mitzunehmen.
Die gesamte Studie finden Sie hier
Für das Inklusionsbarometer Arbeit hat das Handelsblatt Research Institute bei einer repräsentativen Umfrage 500 mittelständische Unternehmen und 802 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter mit Behinderung befragt. Zugleich sind die jüngsten Zahlen aus verschiedenen Quellen wie der Bundesagentur für Arbeit in die Bewertung eingeflossen.
Das Projekt Inklujobs ist hier zu finden.