Kann das Geschlecht oder das Alter – außer bei SchauspielerInnen – ein Auswahlkriterium sein? Lange wurde Vielfalt als Gegenpol zu Qualifikation gesehen – mit „Cultural Fit“ werden die Karten neu gemischt.
Das Ziel, mehr Vielfalt in verschiedenen Unternehmensfunktionen und -ebenen erhalten zu wollen, löst nahezu reflexartig die Frage nach der geeigneten Qualifikation aus. Auch wenn dies rasch und eindeutig als eine Form von Unconscious Bias zu entlarven ist, bleibt das Verhältnis von fachlicher Qualifikation zu persönlichen Merkmalen – aka Diversity-Dimensionen – unklar.
Wonach Unternehmen suchen (sollten)
Unscharfe Zusatzwünsche wie „sie müssen ins Unternehmen und zum Team passen“ erleichtern die Gemengelage keineswegs. Die damit einhergehenden, hochgradig bias-anfälligen Fragen nach persönlichem Stil, Habitus, Einstellungen oder zwischenmenschlicher Chemie bilden langjährige Problemfelder aus Sicht von Diversity. Unter der Überschrift „Cultural Fit“ finden sie aktuell eine zentrale Beachtung, die große Chancen aber auch Risiken mit sich bringt.
Hohe Bedeutung von „Cultural Fit“ – ohne professionelle Bearbeitung
Gleich zwei Studien fanden nahezu gleichlautend heraus, dass der kulturellen Kompatibilität von (externen und internen) KandidatInnen eine zentrale Bedeutung zugeschrieben wird. Beide zeigen auch, dass Unternehmen selten verlässliche Methoden zur Überprüfung des Cultural Fit-in nutzen.
- 93% der Unternehmen geben an, den Cultural Fit (im Recruiting) wichtig zu finden, 36% überprüfen ihn im Bewerbungsgespräch (sic), 84,5% haben keine Systematik zur Überprüfung (Stepstone, 2017)
- Rund 80 % der Unternehmen finden den Cultural Fit ihrer Bewerber (eher) wichtig, 32,4% der Personalverantwortlichen erfassen ihn (unspezifisch), 91,2 % haben kein standardisiertes Verfahrung dafür (MetaHR, 2016)
„Diese Zahlen lassen sich leider nur mit einer Verbreitung des Nasenfaktors erklären“, kommentiert der D&I Ingenieur Michael Stuber die Ergebnisse. Unternehmen, die ihre Grundwerte indes konsistent in formellen Assessments überprüften, erzielten damit positive Effekte auf den nachhaltigen Besetzungs- und Entwicklungserfolg sowie das Engagement, berichtet Stuber.
Unklar bleibt in diesem Themenkomplex, wie Cultural Fit im Kontext mit fachlichen und persönlichen Kompetenzen gesehen wird.
Was fordert die Zukunft? Fachliche oder persönliche Kompetenzen?
Die Bedeutung fachlicher Qualifikationen variiert im internationalen Vergleich grundlegend: Die angelsächsische Geschäftskultur folgt traditionell dem Leitgedanken, dass technisches Wissen und Fähigkeiten gelehrt und erlernt werden können (daher das ‚Trainee-Programm‘), während im deutschsprachigen Raum lange das Primat der Fachkompetenz gegolten hat. Die globalisierte, technisierte, wandlungsintensive und komplexe ‚VUCA‘-Zukunft beeinflusst beide Paradigmen:
- Die neu entstehende Arbeits- und Geschäftswelt verlangt zweifellos nach ausgeprägten persönlichen Kompetenzen im Umgang mit Vielfalt und Veränderung, so dass der dominante Fokus auf Fachqualifikationen zumindest ergänzt werden muss
- Die sich verstärkende Schere von mehr Positionen mit niedrigen Qualifikationsanforderungen und einer Zuspitzung von hochqualifizierten Spezialistenprofilen spricht für eine höhere Bedeutung von Fachqualifikation (im letztgenannten Bereich) während für teilautomatisierte Jobs persönliche Faktoren wesentlich sind
Fachliche und persönliche Kompetenzen sollten – idealerweise integriert mit Cultural Fit – in mehrschichtigen Profilen abgebildet und überprüft werden. Bei allem bleibt unklar, wie sich Diversity zu diesen Elementen verhält?
Vielfalt: Komponente oder Konkurrenz in Qualifikationsprofilen
Das Konzept „Cultural Fit“ kann ganz unterschiedlichen Grundgedanken folgen, die Vielfalt fördern, behindern oder sich neutral verhalten:
- Wenn Cultural Fit darin besteht, ein vorhandenes Team sinnvoll zu ergänzen, fördert dies Vielfalt
- Wenn Cultural Fit eine Gleichheit oder Ähnlichkeit verlangt, wird Vielfalt behindert
- Wenn Cultural Fit eine wertemäßige Übereinstimmung anstrebt, kann sich dies neutral gegenüber Vielfalt verhalten – wenn die Werte keinen impliziten Bias mit sich bringen
Entsprechendes gilt für fachliche oder persönliche Eignungskomponenten: Die Vielfalt, die eine Bewerberin oder ein Bewerber in ein Team, Bereich oder Unternehmen (mit)bringt, kann und soll als Mehrwert berücksichtigt werden und sogar in die formale Betrachtung mit einfließen.
Die Ideallösung
Insgesamt zeigt sich eine nahhaltig tragfähige Lösung in einer Kombination von
- Ausgewählten Fachqualifikationen (weniger ist mehr!)
- Zukunftsorientierten persönlichen Qualifikationen (Umgang mit Veränderung, Komplexität, Virtualität etc.)
- Kompatibilität mit definierten Unternehmenswerten (Überprüfung durch standardisiertes Verfahren)
Wie sich solch objektive Ansätze im Kontext von Digitalisierung oder Start-ups zeigen, diskutiert ein separater Beitrag.
Quellen:
https://www.stepstone.de/ueber-stepstone/press/cultural-fit-im-recruiting/
https://www.metahr.de/downloads/cultural-fit-studie/