Praxisbeispiele zum Umgang mit religiöser Vielfalt am Arbeitsplatz

Das Thema gilt als heißes Eisen: Religion oder Religiosität wurde jahrzehntelang als Privatsache weitgehend aus der Diversity-Praxis ausgeklammert. Erfolgreiche Maßnahmen entwickelten sich dort, wo Unternehmen eine Notwendigkeit sahen oder einen Antrieb hatten. Sechs Beispiele aus Firmen und neun aus dem öffentlichen bzw. Non-Profit-Umfeld stellt eine neue Broschüre der Anti-Diskriminierungsstelle des Bundes vor.

Die implizite Präsenz von Religiosität tritt vor allem dann zu Tage, wenn eine Abweichung der unausgesprochenen Norm eintritt. So überrascht es nicht, dass eine aktuelle Broschüre der Anti-Diskriminierungsstelle feststellt: „Die Ergebnisse der Befragung zeigen, dass es in Deutschland bislang noch nicht viele Maßnahmen im Umgang mit Religion im Arbeitsleben gibt.“ Diese Interpretation bezieht sich offensichtlich nicht auf die umfängliche Präsenz christlicher Normen (z. B. Feiertage) und die Verzahnung betrieblicher Prozesse (z. B. Kirchensteuereinzug) mit den großen christlichen Kirchen. Die Erhebung des DESI (Institut für Demokratische Entwicklung und Soziale Integration) im Auftrag der Antidiskriminierungsstelle des Bundes – und insbesondere die vorige Aussage – bezog sich vor allem auf die größer werdenden Minderheiten des Themenfeldes Religion.

Das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz verbietet Diskriminierung wegen der Religion – auch am Arbeitsplatz. In diesem Themenbereich war es lange Zeit weniger klar als in anderen Felder, welche Benachteiligungen entstehen können oder tatsächlich entstehen. Grundsatzfragen – wie das Begehen von Feiertagen oder Gebetspausen – standen ebenso im Raum wie alltägliche Gestaltungsfragen (Speisenangebot, Hygienevorkehrungen). Seit den Vorfällen des 11. September erschien es zudem skurril, das Konfliktpotenzial, das von (besonders ausgeprägter) Religiosität ausgehen kann, zu ignorieren. Dennoch blieb das Thema deutlich nachrangig und gilt weiterhin zudem als unterforscht; keine der 205 Business Case Studien im aktuellen IBCR stellt Religion ins Zentrum der Untersuchung und nur wenige Publikationen nehmen tiefere Analysen vor.

Gelungene Übersicht der Antidiskriminierungsstelle

In einer neu erschienen Publikation stellt die Antidiskriminierungsstelle des Bundes gelungene Praxisbeispiele für den Umgang mit religiöser Vielfalt am Arbeitsplatz vor. Entsprechend ihres breiten Auftrages geht die Behörde den Fragen nach: Wie können Unternehmen in einer Gesellschaft, in der es immer vielfältigere Glaubensüberzeugungen gibt, sicherstellen, dass ihre Beschäftigten in der Praxis tatsächlich keine beruflichen Nachteile wegen ihrer Religionszugehörigkeit erleiden? Und wie kann vermieden werden, dass sich innerbetriebliche Konflikte an gelebter Religiosität entzünden? Die vom DESI – Institut für Demokratische Entwicklung und Soziale Integration gesammelten Fallbeispiele aus Privatwirtschaft und öffentlicher Verwaltung stellen ausgewählte Einzelmaßnahmen dar, die auf die Schaffung eines diskriminierungsfreien Arbeitsumfelds abzielen. Diese stammen aus den Bereichen

  • Strategisches Leitbild
  • Personalgewinnung und -entwicklung
  • Arbeitsorganisation
  • Kommunikation und Konfliktlösung.

Von der Fraport AG stellt die Broschüre die über Jahre hinweg aufgebauten und optimierten Ansätze vor, die das Praktizieren von Religiosität ermöglichen (Gebetsräume, Speisenangebote) und darüber hinaus positiv begünstigen (Iftar-Mahl, Freitagsgebete, jährliche abrahamitische Feier).

Weitere Praxisbeispiele zeigen die Integration von Religion in breit angelegte Diversity-Strategien und –Programme. Dabei wird mehr oder weniger deutlich, wie konkret sich die jeweiligen Instrumente mit der Dynamik religiöser Unterschiedlichkeit in dem ganzheitlichen Kontext befassen. Für Randstad Deutschland erwähnt die Broschüre ein internes Kompendium „Religiöse Vielfalt in Deutschland“, das sowohl für die eigenen MitarbeiterInnen als auch Kundenunternehmen der Zeitarbeitsfirma eingesetzt wird. Als weiteren Baustein thematisiert Randstad kulturelle Vielfalt und adressiert damit einen der relevanten Schnittpunkte. In diesem Umfeld sind auch die Kulturmittler von ThyssenKrupp – bereits seit 2002 – tätig.

Ein Symbol, das häufig stellvertretend – und keineswegs immer zurecht – für religiöse Debatten thematisiert wird, erscheint nur in den Beispielen aus dem öffentlichen bzw. nicht-gewinnorientierten Bereich: Das Kopftuch. In vielen Unternehmen gibt es hierzu weiterhin Diskussionen, insbesondere wenn externe Positionen betroffen sind.

Die Broschüre spricht Möglichkeiten der Übertragbarkeit auf andere Umfelder an und möchte dafür Anregungen liefern. Sie steht hier zum kostenlosen Download zur Verfügung.