Der Glaube an den Nutzen von D&I-Zielvorgaben ist fast so stark wie der Widerstand, den sie häufig auslösen. Aktuelle, internationale Forschungsergebnisse mit breiter Datenbasis zeigen nun einmal mehr, dass die Akzeptanz des Themas – idealerweise durch konsistente, betriebswirtschaftliche Sinnstiftung – erforderlich ist, bevor ‚Quoten‘ einen Beitrag zur D&I Wertschöpfung leisten können.
Was braucht es, um aus Vielfalt wirtschaftliche Mehrwerte zu generieren? Diese Frage ist für D&I-PraktikerInnen aus verschiedenen Gründen weiterhin zentral:
- Erfahrungen und manche Forschungsarbeiten zeigen, dass Vielfalt in bestimmten Situationen zu negativen Effekten wie Leistungseinbußen führen kann
- Es bestehen externe und interne Erwartungen an Unternehmen, bei den offensichtlichen Kennzahlen (mehr) Fortschritte zu erzielen (während die tatsächlichen Entwicklungen bescheiden oder widersprüchlich sind).
- Internationale Konzerne sind mit erheblichen Unterschieden konfrontiert, die zwischen weltweiten Kulturen und Kontexten bestehen (standardisiert vs. dezentralisiert).
- Das Nachahmen von Blaupausen entfaltet in der eigenen Organisation selten die gewünschte Zugkraft (und ‘Ausprobieren’ ist nicht besonders ökonomisch).
Eine aktuelle wissenschaftliche Untersuchung weist darauf hin, dass eine Vorbereitung der Organisationskultur in Bezug auf D&I erforderlich ist, bevor klare Zielvorgaben oder strukturelle Maßnahmen die gewünschten positiven Auswirkungen haben können.
Der Mythos von Quoten und Zielvorgaben (Reprise)
Das Management-Mantra der Steuerung über Kennzahlen („What gets measured, gets done“) ist so breit verankert, dass es auch nicht für D&I in Frage gestellt wird. Nach jahrelangen Erfahrungen mit mehr oder weniger starren Quotenvorgaben der Politik, Selbstverpflichtungen oder anderen Zielsetzungsmechanismen wird immer klarer, dass die bloße Festlegung numerischer Erwartungen nicht die gewünschten Veränderungen von Denkweisen und Verhaltensmustern bewirkt. Stattdessen lösen sie mitunter gegenläufige Reaktionen aus. Neue Forschungsergebnisse helfen nun, diese Dynamik besser zu verstehen, indem sie zwischen “normativer Akzeptanz” und “regulatorischer Unterstützung” unterscheiden. Datenanalysen zeigen, dass die beiden Ansätze zwar zusammenhängen, die normative Akzeptanz jedoch den Hebel darstellt, der (Geschlechter)Vielfalt zu einem wirtschaftlichen Mehrwert macht. Die Ergebnisse machen klar, dass weder quantitative Zielvorgaben noch unterstützende Programme oder Infrastruktur (Kinderbetreuung, Abwesenheitsregelungen, Flexible Arbeitsmöglichkeiten) allein einen positiven Effekt auf die Wertschöpfung von D&I bewirken, während dies für eine positive Haltung gegenüber Diversity der Fall ist.
Werte, Einstellungen und kollektive Grundhaltungen als Schlüsselelemente
Als das Wertschöpfungsmodell für D&I, das so genannte Potenzial-Prinzip, 2005 eingeführt wurde, illustrierte es die Notwendigkeit, auf individueller Ebene, in Teams sowie in breiteren Kontexten (Organisations- bzw. Gesellschaftskultur) Offenheit für Vielfalt zu schaffen. Diese Aufgeschlossenheit bildet das zentrale Bindeglied in der Wertschöpfungskette von „Diversity & Inclusion“. Seitdem wurde das Modell durch immer mehr Forschungsresultate bestätigt.
Die neusten Analyseergebnisse – von Daten aus mehr als 1.000 Unternehmen in 35 Ländern – zeigen, dass gemeinsame Werte, z. B. die Einstellung zu Geschlechterrollen, eine intrinsische Überzeugung für den Wert von D&I beinhalten müssen, sodass die gewünschten wirtschaftlichen Vorteile entstehen können. Die Studie stellt ausdrücklich fest, dass es nicht ausreicht, “die Gleichstellung der Geschlechter als Verpflichtung zu betrachten”. Folgerichtig proklamieren viele Unternehmen einen sogenannten Business Case für D&I, während ihre konkreten Maßnahmen und Botschaften sich häufig auf die quantitative Zielerreichung, externe Erwartungshaltungen oder sozial-ethische Aspekte konzentrieren. “Eine glaubwürdige Sinnstiftung im spezifischen Business-Kontext und eine klarer Fokus auf einen kulturellen Wandel bilden den deutlichsten Verbesserungsbedarf der meisten D&I-Strategien”, weiß Michael Stuber, der D&I Ingenieur, mit Blick auf die die gängige Praxis. Diese Erkenntnis hat jedoch noch eine zusätzliche Dimension.
Individuelle Analyse der Situation und Entwicklung spezifischer Lösungen sind nötig nötig
Jede Unternehmenskultur ist einzigartig, basiert auf ihrem individuellen Erbe und branchenspezifischen, regionalen und anderen Einflüssen. Daher muss sie aus D&I-Sicht individuell betrachtet und Veränderungsansätze passend geplant werden. Umgekehrt sollte niemand erwarten, dass Blaupausen in einem spezifischen Kontext Wunder bewirken (wie dieses Video kurz erläutert).
Weitere neue Erkenntnisse aus der internationalen Studie
- Die Forschungsergebnisse stellen dank ihrer Längsschnittsmethodik fest, dass Vielfalt tatsächlich ein Treiber für den Unternehmenserfolg darstellt und nicht – wie Kritiker mitunter behaupten – Vielfalt eine Folge des Erfolges ist.
- Die Ergebnisse stützen frühere Erkenntnisse, dass eine offene Teamkultur nötig ist, um vielfältige Teams zum Erfolg zu führen, z. B. bei der Generierung bester Lösungen.
- Zudem ergänzen sie bisherige Ergebnisse in Bezug auf Investitionsstrategien, die D&I als Indikator für zukunftsorientierte Unternehmensführung ansehen – ein weiteres Indiz für die ‚normative Akzeptanz‘ von D&I in einer Gesellschaft (oder das Fehlen derselben).
Zusammenfassung
Die neuste Forschungsarbeit birgt klare Einsichten für Unternehmen, die ihre D&I-Arbeit eine Stufe weiter bringen wollen. Dazu müssen sie allerdings die Kernbotschaft beherzigen: „Je normativ akzeptierter Geschlechtervielfalt in einem Land oder einer Branche sind, desto mehr profitieren Unternehmen in Hinblick auf ihren Börsenwert und wirtschaftlichen Ertrag. Unsere Ergebnisse zeigen die Bedeutung der breiteren sozialen Kontexte für die mehrwertorientierte Gestaltung von Gender-Diversity.“
Die Übersetzung in praktische Empfehlungen für D&I resultiert in drei Punkten, die der verbreiteten Praxis und entsprechenden Glaubenssätzen kritisch gegenüberstehen.
- Die entscheidenden Erfolgsfaktoren sind zu spezifisch, um Blaupausen einsetzen zu können („3 Dinge für mehr Vielfalt im Management“ oder Nachahmung von Maßnahmen, die gefallen).
- Quoten oder quantitative Ziele helfen nicht, Widerstände zu überwinden und nötige Veränderungen zu bewirken (insbesondere nicht, wenn sie der Hauptmechanismus oder –Botschaft von D&I sind).
- Die Weiterentwicklung individueller und kollektiver D&I Ansichten müssen im Mittelpunkt stehen (prüfen Sie, ob etwaige Trainings und Kommunikation die erforderlichen Reflexionen und Dialoge ermöglichen).
Als effektiven Einstieg empfiehlt Stuber, die D&I-Storyline und –Strategie eingehend zu überprüfen und anzupassen, das dass das Thema als direkter Beitrag für Geschäftsprioritäten verstanden wird und Kennzahlen als Erfolgsindikatoren und nicht als Ziele eingesetzt werden.
Weiterführende Artikel
F.A.Z. Journal „Ohne Akzeptanz keine Performanz“
Eine D&I-Welt für sich allein: Management- und Führungskultur
http://ungleich-besser.de/umsetzung/d-i-management-und-fuehrungskultur/
Anders und ähnlich: Die Umsetzung von D&I in ganz Europa
http://de.diversitymine.eu/different-and-similar-the-implementation-of-di-across-europe
Quelle
Zhang, Letian: An Institutional Approach to GenderDiversity and Firm Performance. Forthcoming in Organization Science