Sexismus: Ausgerottet, harmlos oder ein Fall für die Gerichte?

Spricht man Sexismus an, trifft dies auf nahezu gegensätzliche gefühlte Wahrheiten: Einerseits gelten schon kleine sprachliche Schieflagen – vor allem am Arbeitsplatz – als unangemessen, andererseits zeigt sich im Internet, im Sport oder in der Werbung unverhohlene Frauenfeindlichkeit. Alles „nur Einzelfälle“ oder Anzeichen eines gesellschaftlichen Problems?

Eine Reihe von Themen zeigte während der letzten Monate, dass eine maßvolle und sachliche Diskussion über Sexismus aktuell kaum möglich ist: Eine Kündigung wegen fehlender Highheels, eine weibliche Fußballkommentatorin, gespreizte Frauenbeine in der Werbung – dies und vieles mehr führte einerseits zu lauten Aufschreien und im Grunde ist man sich einig, dass all das nicht hätte passieren dürfen. Andererseits sind abwiegelnde Erklärungsversuche rasch bei der Hand, wenn es um Änderungen der gängigen Praxis geht. Diese Reaktion zeigt Beharrungsbestreben und damit ein kulturelles Problem.

Über hohe Absätze gestolpert

Nicola Thorp arbeitete (via der Zeitarbeitsfirma Portico) als Rezeptionistin bei PriceWaterhouseCoopers. Als sie eines Tages keine hohen Absätze im Büro tragen wollte, wurde sie nach Hause geschickt und gekündigt. Der Fall rief allgemeines Entsetzen hervor, zumal die entsprechende Kleiderordnung in Großbritannien legal ist. Der Fall führte zu einer erhitzten Diskussion über die unterschiedliche Bedeutung des äußeren Erscheinungsbildes für Frauen und Männer am Arbeitsplatz. Die Aspekte der Sexualisierung und des Zum-Objekt-machens von Frauen traten deutlich zu Tage, nachdem dies bezogen auf berufliche Dresscodes lange kaum der Fall war. Im konkreten Fall reagierten beide, Portico und PWC, umgehend und gaben an, die fraglichen Grundsätze überprüfen zu wollen. Immerhin. Die breitere Diskussion über die latente Sexualisierung von Frauen auch am Arbeitsplatz steht weiterhin aus.

Frauenstimme im Fußball mehr als nur „ungewohnt“

Als Claudia Neumann als erste Frau ein EM Fußballspiel (der Männer) kommentierte, hagelte es unsachliche und beleidigende Kommentare, die ihr Sender, das ZDF, als „asoziale Kritik“ von „besonders unangenehmer Qualität“ bezeichnete. Sie selbst „hatte das ja erwartet“, obwohl sie diese Pionierrolle bereits bei der Fußball-WM (der Frauen, 2011) innehatte. Deutet dies auf eine selbsterfüllende Prophezeiung hin? Oder lieferte Neumann den Frauenfußball – und sich selbst – ans Messer lieferte indem sie sagte „jedes hochklassige Frauenfußballspiel ist ein schlechtes Spiel im Vergleich zum Männerfußball“? Die Tatsache, dass ein großer Teil der Kommentare offen(sichtlich) sexistisch oder frauenfeindlich war, weist auf eine tief empfundene Bedrohung hin. Der Diversity-Experte Michael Stuber bringt dies auf die Formel: „Das Eindringen von Frauen in den Olymp der Männlichkeit, der mit hunderten von Millionen Euro an Werbegeldern und Rundfunkgebühren verteidigt wird“. Schmähseiten im Internet gegen Frauen als EM Kommentatoren scheinen ihm Recht zu geben, während die Bemühungen der Fußballverbände für Vielfalt zumindest offiziell in eine andere Richtung weisen. Die Öffentlichkeit ist in dieser Frage – wie in vielen anderen – klar gespalten. Eine Internetumfrage der Berliner Morgenpost zeigte 40 % für „mehr Frauen wie Neumann“ und 39% antworteten „Frauenstimme beim Fußball geht nicht“. Zu diesem Ergebnis weist Stuber darauf hin, dass diese Meinungsverteilung auch in Unternehmen herrschen könne.

Sexismus in der Werbung als Meinungsfreiheit geschützt?

Beim Thema „Werbung“ gehen die Meinungen ebenfalls auseinander – umso mehr, wenn Geschlechterrollen diskutiert werden. Für die einen sind traditionelle Männer-, Frauen- und Familienbilder eine Zementierung überholter Muster, für die anderen ist dies ein unverzichtbares Erfolgsrezept, um den großen Marktdurchschnitt anzusprechen. Wo in diesem Kontinuum etwaiger Sexismus einsetzt, ist ebenso umstritten wie die Frage, was dagegen zu tun sei. Während bei deutlichen Entgleisungen – wie aktuell im Fall Wiesenhof-AtzeSchröder – große Einigkeit herrscht, dass derartige Spots unangemessen sind, bleibt die Verwunderung darüber, wie sie überhaupt entstehen konnten. Einige hundert Personen sind am Entstehungsprozess beteiligt, aber anscheinend weder ein Watchdog noch ein Whistleblower. Bei vielen anderen Spots lobt sich die Werbewirtschaft für den gekonnten Einsatz des Themas „Liebe“ oder der Strategie „Anziehungskraft“ zum Erreichen des Ziels „Aufmerksamkeit“. Dieselben Spots werden von kritischen Augen als sexualisiert, herabwürdigend, heteronormativ oder anderweitig schieflagig bezeichnet. Eine sachlich-fachliche Diskussion findet jedoch selten statt.

Unversöhnliche Positionen zu gesetzlicher Regelung

Auch nicht über die Überlegungen des Justizministeriums, nach zwei gescheiterten Anläufen (vor 15 bzw. 30 Jahren) das Gesetz zum unlauteren Wettbewerb zu erweitern und sexistische, aber auch rassistische oder andere diskriminierende Werbung zu verbieten. Eine aktuelle Dissertation hat die Machbarkeit des Vorhabens unter juristischen Gesichtspunkten untersucht und (erneut) bestätigt. Dennoch halten sich gegenteilige Aussagen, ein solches Verbot sei nicht möglich („Meinungsfreiheit…“) – und zudem weder erforderlich noch wirksam. Der letzte Punkt dürfte zutreffen, denn ein Gesetz würde sexistische Werbung ebenso wenig verhindern wie die derzeitige Selbstregulierung durch den Werberat: In beiden Fällen muss zunächst eine Klage erfolgen, die die Verbreitung stoppt. Ähnlich wie beim AGG könnte eine Erweiterung des Gesetzes allerdings erreichen, dass Sexismus nicht als Einzelphänomen, sondern im Verbund mit anderen Themen und damit weniger spitz wahrgenommen würde. Die Einbindung neutraler Stellen, zum Beispiel in Schlichtungen, würde zudem den konstruktiven Austausch fördern.

Gesetze als verbindliches Abbild gemeinsamer Werte

Dass neue Spielregeln in all den genannten Bereichen (Job, Sport, Werbung) erforderlich sind, ergibt sich aus dem deutlichen Wertewandel der letzten Jahrzehnte. Die Erwartungen, die Männer und Frauen an Gleichberechtigung haben, sind heute weitaus höher als früher. Gesetze und andere Regelungen dienen dazu, das breite Wertefundament einer Gesellschaft in wichtigen Bereichen explizit und einforderbar auszugestalten – gerade wenn sich traditionelle Einstellungen hartnäckig halten, wie es am Phänomenen Alltagssexismus erkennbar ist. Ein aktuelles Beispiel stellt die Ratifizierung der Istanbul-Konvention dar, die in Deutschland auf die lange Bank geschoben worden war. Nun kommt sogar ein neues Gesetz, das Gewalt gegen Frauen klarer verbietet – auch in der Familie. Dass in Arbeits- und Führungskulturen spürbare Veränderungen stattfinden müssen ist durch das ungeschickte Instrument der Frauenquote heute weniger deutlich als noch vor 6 bis 7 Jahren – der Fokus liegt spürbar auf wenigen Kennzahlen. Dass die Sport- und Fankultur sich weiterentwickeln muss, ist vielen beteiligten Managern klar; einzig fehlt es ihnen an Strahlkraft in die Massen hinein und keiner möchte den Buhmann spielen… Dass auch die Werbung künftig höheren ethischen Ansprüchen genügen muss sollte angesichts zunehmender Kundenfeedbacks in dieser Richtung proaktiv von Werbetreibenden und der Kreativindustrie verfolgt werden. Stattdessen polterten einige Agenturchefs in Cannes, dass sie einen reinen Geschäftsauftrag – und keine gesellschaftliche Rolle – für ihre Arbeit sähen.

Ein breiter Themenansatz und breite Allianzen

In all diesen Bereichen hat sich gezeigt, dass ein konstruktiver Diversity-Ansatz mehr Akzeptanz und in der Folge mehr positive Energie erzeugt, als Kampagnen gegen –ismen oder –phobien. Das Instrumentarium ist also vorhanden – nun müssten sich die Akteure nur noch an den jeweiligen Tischen zusammenfinden. Klare Worte, die sich auch eine breite Öffentlichkeit richten, müssen von dort ausgehen. Die HeForShe Kampagne der UN ist ein Beispiel für eine umfassend angelegte Kampagne. Als weltweite Solidaritätsbewegung ruft #HeForShe seit 2014 Männer auf, sich als ‘Agents of Change’ für die Gleichstellung der Geschlechter und die Beendigung aller Gewalt und Diskriminierungen gegenüber Frauen und Mädchen einzusetzen. Mit dem IMPACT 10*10*10 Ansatz sollten zehn männliche Führungspersönlichkeiten aus Politik, der Wirtschaft und von Universitäten als Speerspitze eine Multiplikatorenfunktion ausüben. Im ersten Jahr hatte die Kampagne indes ihr selbstgestecktes Impact-Ziel, 1 Million Männer einzubinden, nicht erreicht. Mitverantwortlich dafür dürfte die Anzahl von Schwerpunkten sein, die einerseits eine weltweite Relevanz ermöglichen: Bildung, Gesundheit, Selbstbestimmung, Arbeit, Gewalt und Politik. In jedem Land der Erde sind diese Themen in unterschiedlicher Mischung relevant. Andererseits birgt die Themenbreite eine kommunikative Herausforderung. Die konkreten Erfolgsgeschichten und Aktionen, die aus der Kampagne heraus entstehen, entfalten derweil lokale, nationale und regionale Wirkung. Im besten Fall wird diese, ähnlich wie beim viralen Marketing, umfassend und durchgreifend sein.