Führen mehr Frauen in Vorständen zu mehr Gleichberechtigung in einem Unternehmen? Fördert die Arbeit in multinationalen Teams eine interkulturelle Normalität? Die aktuelle Forschung liefert Erkenntnisse jenseits offensichtlicher Antworten.
Aktuelle Statistiken der Europäischen Kommission zeigen, dass die Gleichstellung der Geschlechter in Ländern, in denen es entsprechende Rechtsvorschriften gibt, voranschreitet. Die BefürworterInnen vorgeschriebener Gender-Balance im Top-Management interpretieren dies hastig als Beweis dafür, dass Frauen an der Spitze der Schlüssel für Gleichstellung sei. Eine neue, groß angelegte empirische Studie zeigt nun, dass dies zumindest für Lohngleichheit nicht gilt.
Weibliche Bosse haben keinen Einfluss auf den Lohn von Frauen – oder Männern!
Wird das Einkommen weiblicher Mitarbeiter dadurch beeinflusst, dass sie entweder a) selbst eine weibliche Führungskraft haben oder b) ein größerer Anteil an weiblichen Führungskräften im jeweiligen Unternehmen arbeitet? Als Antwortmöglichkeiten bilden die Forscher zwei Hypothesen: Frauen sind entweder „Motor des Wandels“ (agents of change) oder „Rad im Getriebe“ („cogs in the machine“).
Eine neue, groß angelegte empirische Forschung liefert faszinierende Einblicke jenseits eines allzu vertrauten Gesamtbildes: Der durchschnittliche Stundenlohn von Männern beträgt 8,33€, Frauen erhalten 7,74€ (unbereinigte Zahlen). Allerdings wurde kein (!) signifikanter Einfluss weiblicher Führungskräfte auf den Verdienst weiblicher oder männlicher Beschäftigten festgestellt. Dies galt für beide getesteten Hypothesen: den vermeintlichen Einfluss des Gesamtanteils weiblicher Führungskräfte und den Fall, dass eine direkte Vorgesetzte weiblich war. Das bedeutet, dass (mehr) Frauen im Management nicht zur Schließung des geschlechtsspezifischen Lohngefälles beitragen und keine Benachteiligung von Männern verursachen (wie manchmal post-faktisch behauptet wird).
Einzigartiges Forschungsdesign
Die Studie analysierte verknüpfte Daten (Vorgesetzte-Mitarbeiter) aus neun europäischen Ländern: Bulgarien, Deutschland, Finnland, den Niederlanden, Portugal, Schweden, Spanien, Ungarn und dem Vereinigten Königreich von Großbritannien und Nordirland. Um statistische Verzerrungen zu vermeiden, wurden neben der individuellen Mitarbeiterebene (N=9.267) auch die Abteilungsebene (N=706) und die Organisationsebene (N=236) einbezogen.
Fähig, aber nicht willens oder willens, aber nicht in der Lage?
Die Ergebnisse der Analyse stützen die von den Forscherinnen formulierte Hypothese, dass Managerinnen als „Räder im Getriebe“ fungieren. Die Frage bleibt, WESHALB sie keinen Einfluss auf bestehende Lohnunterschiede haben, auch nicht, wenn es um ihre direkten Mitarbeiterinnen geht? Die Wissenschaftler geben eine gemischte Antwort hierauf: so sollen weibliche Führungskräfte mitunter nicht willens sein („Queen Bee“-Theorie) oder auch nicht in der Lage sein, die Situation zu beeinflussen (weil zu wenig einflussreichen Funktionen arbeiten).
„Die Ergebnisse bestätigen einmal mehr, dass es nicht ausreicht – und sogar gefährlich ist –, sich nur oder hauptsächlich auf Repräsentationszahlen zu konzentrieren. Stattdessen müssen wir die verschiedenen Dynamiken und Verzerrungen verstehen, die zu unfairen Konstellationen führen“, fasst Michael Stuber, Der D&I Ingenieur die Resultate zusammen. Seine Arbeit adressiert daher u. a. implizite Annahmen und Mythen, die auch in der D&I-Praxis und -Kommunikation zu finden sind.
Jenseits von Geschlecht
In anderen Bereichen von D&I gibt es ähnliche Annahmen. Für interkulturelle Vielfalt zum Beispiel konkurrieren zwei Theorien: Schafft die Arbeit in einem internationalen Umfeld eine multikulturelle Normalität für Expats (Weltbürger) oder wird ihre Affinität zum Heimatland (Heimweh) gestärkt?
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Quelle
Margriet van Hek and Tanja van der Lippe (2019): Are Female Managers Agents of Change or Cogs in the Machine? An Assessment with Three-Level Manager–Employee Linked Data. European Sociological Review. S. 1-16
https://academic.oup.com/esr/advance-article/doi/10.1093/esr/jcz008/5470943