„Wir sehen den Kern des Problems nicht!“ (Pressemitteilung)

Kölner Diversity-Papst über Sexismus und Rassismus im deutschen Alltag. Zur den aktuellen Diskussionen über sexualisierte Gewalt und Flüchtlinge erklärt der Diversity-Forscher, -Publizist und -Berater Michael Stuber: „Stereotype lenken von den tieferen Ursachen ab: Stimmungsmache gegen Flüchtlinge und die Normalität von Sexismus in Deutschland.“

„In der akuten Debatte über die sexualisierten Übergriffe auf Frauen in Köln, Hamburg und anderen Städten geschieht etwas sehr gefährliches: Eine kleine Gruppe wird zum wiederholten Mal als Anlass für polarisierende Diskussionen genommen. Dies ist unter anderem deshalb möglich, weil politische Meinungsführer seit Monaten negative Einstellungen gegenüber Migranten, insbesondere gegenüber Flüchtlingen, fördern und mitunter erzeugen.

Die Mitte der deutschen Gesellschaft wehrt sich nicht gegen täglichen Sexismus

Durch die Einengung der Diskussion auf migrantische Beteiligte der Kölner Vorfälle werden zwei offensichtliche Fragen nicht gestellt:

  1. Wenn in einer Masse von über 1.000 Menschen eine kleine Gruppe von Personen übergriffig wird, weshalb schreiten die mehr als 950 Anderen nicht ein? In unserer Gesellschaft müsste es ein natürliches Korrektiv für inakzeptable Verhaltensweisen oder Äußerungen geben. Dieses existiert jedoch in vielen wichtigen Bereichen – wie der Politik oder den Medien – nicht.
  2. Erleichtert das Umfeld in Deutschland sexualisierte und sexistische Äußerungen und Handlungen? In vielen Umfeldern (Sport, TV, Management) herrscht ein rauer Ton, der das Verhältnis zwischen Männern und Frauen hierarchisiert. Sexualisierte und sexistische Werbung ist weit verbreitet und wird nicht als störend wahrgenommen. Unangebrachte Kommentare über Äußerlichkeiten von Frauen sind in den Medien an der Tagesordnung, ohne dass sie als solche erkannt werden. Die konservativen Teile der Politik sorgten für eine Festigung der untergeordneten Rollen von Frauen und eine anhaltende Diskriminierung moderner Familien.

Solange wir nicht akzeptieren, dass wir das Umfeld geschaffen haben, in dem solche Dinge passieren können, werden wir nicht die tieferen Ursachen erkennen und keine deutliche, nachhaltige Änderungen herbeiführen können. Dies gilt in analoger Weise für den Bereich „Migration“, sowohl bezogen auf Zuwanderer der letzten Jahrzehnte wie auch jene, die erst kürzlich hierhergekommen sind. Denn:

Politischer und medialer Rassismus wird nicht als solcher erkannt – und führt zu Anschlägen auf Flüchtlingsheime

Ideologisch motivierte Politiker nutzen äußerst geschickt jede Gelegenheit, um Flüchtlinge (und andere Ausländergruppen) als latent gewaltbereit, sexistisch, ungebildet, schmarotzerisch, fanatisch oder anderweitig ‚unpassend‘ für Deutschland darzustellen. Dies geschieht PR-wirksam durch das Erheben von Forderungen, die entsprechende Vorannahmen beinhalten: Straffällige Migranten ausweisen, Bekenntnis zu Grundwerten einfordern, Integrationskurse verpflichtend durchführen, Grenzen kontrollieren, mehr Polizei, mehr Härte u.v.m. Ein wesentlicher Fehler besteht darin, diese rassistisch motivierten Forderungen zu verbreiten und sachlich zu diskutieren, anstatt sie zu entlarven. Damit werden diskriminierende Grundhalten salonfähig gemacht und verschieben die Bandbreite der Toleranz – bis schließlich über 800 Anschläge allein im Jahr 2015 auf sogenannte Flüchtlingsheime stattfinden (das Bundeskriminalamt weist mehr als 1.600 Delikte in Zusammenhang mit ‚Unterbringung von Asylbewerbern‘ aus). Schon in den 1990er Jahren waren es Äußerungen von Politikern, die rassistischen Anschlägen den Weg bereiteten. Diese Anschläge stellen das eigentliche Problem Deutschlands dar – nicht die Asylsuchenden oder andere Migranten.

Die gefährlich verschobenen Maßstäbe deutscher Identität

Deutschland hat sich seit 1945 immer nur halbherzig mit seiner Identität befasst. Schließlich müssten in diesem Zusammenhang auch unschöne Aspekte thematisiert werden. Durch die Wiedervereinigung und den bemerkenswerten wirtschaftlichen Erfolg schien es auch keine Notwendigkeit gegeben zu haben. Die Ankunft von hunderttausenden von Flüchtlingen und die hilflosen Reaktionen einer unvorbereiteten Mainstreamgesellschaft zeigen, wie viel Identitätsklärung versäumt wurde. Wenn die sechs folgenden Kernaspekte deutscher Identitätsgeschichte im kollektiven Bewusstsein verankert wären, zeigten die Deutschen wohl eine andere, positivere Grundhaltung gegenüber Migranten:

  1. Der wirtschaftliche Erfolg Deutschlands basiert seit des industriellen Aufstiegs (Ende des 19. Jh.) auf migrantischen Arbeitskräften
  2. Deutschland ist immer schon eine multi-kulturelle Gesellschaft gewesen, schon lange vor den ersten Staatsgründungen, sicherlich aber seit dem Versailler Vertrag, durch den zahlreiche Migranten die deutsche Staatsangehörigkeit erhielten
  3. Millionen von Deutsche sind in viele Länder ausgewandert, meist als sogenannte ‚Wirtschaftsflüchtlinge‘ (sic) und leben dort bis heute (mit ihrer Sprache und ihren Gebräuchen)

Deutsche sind die Türken der USA: die größte (ehemalige) Flüchtlingsgruppe

  1. Ohne massive Hilfe von außen wäre das zerstörte Nachkriegsdeutschland niemals zu Wohlstand oder Erfolg gekommen – Marschallplan und Gastarbeiter sind nur zwei der zentralen Bausteine
  2. Deutschland hat nach dem Krieg 14 Millionen Flüchtlinge aufgenommen – dies war trotz extrem schwieriger Umstände erfolgreich (und gleichzeitig nie ganz reibungslos)
  3. Deutschland hat nach dem Zerfall der Sowjetunion jährlich bis zu 300.000 Flüchtlinge aufgenommen – auch damals gab es Diskussionen, jedoch nicht mit der unangemessenen Feindseligkeit, wie sie heute zu beobachten ist.

Diese Reflexionen helfen freilich weder heute noch morgen, die Situation zu bewältigen. Sie können uns jedoch sehr wohl dabei helfen, unser offensichtliches Unvermögen in einigen Bereichen – insbesondere Geschlecht, Herkunft und Religion – besser zu verstehen und zu akzeptieren. Ein kritisches und vielschichtiges Selbst-Verständnis bildet den Startpunkt für eine Weiterentwicklung unseres kollektiven Bewusstseins. Dieses benötigen wir dringend:

Deutschland muss sich als Land der Vielfalt in der internationalen Gemeinschaft neu positionieren.“

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Über Michael Stuber:

Wie kann man die vielfältigen Potenziale eines Unternehmens optimal nutzen? Prägnante Antworten hierauf erarbeitet Michael Stuber seit 15 Jahren. Bereits als Student wirkte der 1966 geborene Diplom-Wirtschaftsingenieur an pan-europäischen Bildungs- und Beschäftigungsprojekten mit. Nach vier Jahren als Bereichsleiter und Partner zweier führender Beratungen der Personal- und Organisations­entwicklung gründete er 1997 sein international erfolgreiches Diversity-Consutling-Unternehmen mit den Marken ‚Ungleich Besser’ und ‚European Diversity’. Dabei machte er sich auch als Forscher, Autor und gefragter Referent einen Namen. Die Wirtschaftswoche und andere nennen ihn „Deutschlands Diversity-Papst“.

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